Alles begann damit, dass ein junger Steinmetz aus Deutschland für kurze Zeit bei uns im Betrieb aushalf. Seinen Namen habe ich leider vergessen aber er erzählte mir von seiner Wanderschaft und seit diesem Moment geisterte die Idee durch meinen Kopf so frei wie nur irgend möglich durch die Welt zu ziehen und als Steinmetz zu arbeiten.

Mir ging es gut. Ich hatte einen sehr guten und sicheren Job, eine schöne Wohnung, eine wunderbare Freundin und ein grosses Umfeld. Doch irgendwie wurde jeder Tag etwas eintöniger. Meine Weiterbildung zum Handwerker in der Denkmalpflege näherte sich dem Ende, die Europameisterschaften waren gewonnen, die tägliche Arbeit war stressig und wenig erfüllend. Kurz: Nichts konnte meinen Beruflichen Ehrgeiz mehr stillen. Die Wanderschaft schien mir eine wunderbare Möglichkeit mich fachlich und persönlich weiterzuentwickeln.

So kam eines zum anderen. Ein Schacht in dem ich reisen wollte und ein Altgeselle, der mir zeigte, wie man als Fremder (Wort für alle Wandergesellen die unterwegs sind) überlebt, waren nach einiger Suche gefunden.

So feierte ich also mit Verwandten, Freunden, Bekannten und einigen Gesellen meine Losgeh-Party am Freitag dem 06. September im Gaskessel bei Bern. Nach einem letzten Bad in der schönen aber sehr kalten Aare, einem guten Essen und vielen netten Gesprächen, bekam ich von meinem Altgesellen mein Ohrloch mit einem Nagel gestochen.

Das sieht schlimm aus, war aber absolut ungefährlich. Der Ohrring steht für das Versprechen, mindestens drei Jahre und einen Tag rechtschaffend unterwegs zu sein. Gesellen, die schwere Verbrechen begehen, wird der Ohrring heraus gerissen. Sie sind dann ihr Leben lang als Schlitzohre zu erkennen. Das passiert aber äusserst selten.

Der Samstag nach der Losgeh-Party ist dazu gedacht, etwas auszunüchtern und die letzten Vorbereitungen für die grosse Reise zu treffen. Wir suchten zusammen also noch ein passendes Ortsschild für das Losgeh-Ritual am Sonntag und fanden es direkt neben der psychiatrischen Klinik Waldau. Zum Glück überstanden wir die ganze Geschichte, ohne dass uns jemand einweisen liess.

Hundert Meter weiter, kaufte mir mein Altgeselle dann noch einen 5 Kilo schweren Käse als erste Wegzehrung. Er sagte grinsend zu mir „Dein Gepäck ist noch viel zu leicht!“ Nach der letzten Nacht die ich für lange Zeit in Bern verbringen würde, ging es also am nächsten Morgen los, zur letzten Ehrenrunde durch Bern.

Als wir gegen elf Uhr beim Ortsschild ankamen, merkte ich schon, dass tippeln nicht gerade eine sehr angenehme Erfahrung ist, besonders mit einem 5 Kilo schweren Käse auf dem Rücken der lose hin und her pendelt. Nun nach dem sich also einige Kameraden am Ortsschild versammelt hatten, begann ich das Loch für den Schnaps zu graben. Das Loch muss vor dem Ortschild, also innerhalb der Heimatsgemeinde gegraben werden. Es sollte tiefer sein als 80 Zentimeter. In das Loch kommt eine Flasche mit Schnaps, sowie eine Flasche mit kleinen Briefen die von Freunden und Verwandten am Abend der Losge-Party beschrieben werden. Was darauf steht, erfahre ich erst, wenn ich das Loch wieder ausgrabe nach meiner Heimkehr.

Wieso man einen Schnaps vergräbt? Ganz einfach: Am Anfang einer jeden Wanderschaft hat jeder Wandergeselle nicht mehr als fünf Franken (Euro) in der Tasche. Mehr besitzt man zu Beginn nicht. Am Ende der Wanderschaft, darf man auch nur mit fünf Franken wieder nach Hause kommen. Das soll verhindern, dass sich die Fremden während der tippelei nur aufs geldverdienen konzentrieren. Den Schnaps vergräbt man, damit man bei der Rückkehr auch etwas zu feiern hat. Mit fünf Franken, kauft man sich in Bern nicht einmal ein grosses Bier 😉

Als erstes wird nun das Gepäck über das Ortschild geworfen. Das war beim Käse eine nicht ganz ungefährliche Angelegenheit, standen wir doch dicht neben einer vielbefahrenen Hauptstrasse. Ein guter Start wäre das gewesen, einen Käse in eine Windschutzscheibe zu katapultieren. Aber es lief alles gut, die anderen Gesellen fingen meinen Gepäck und meinen Käse mit Bravur.

Nun war es Zeit für mich selbst zuerst auf das Ortschild rauf zu klettern. Es bog sich doch ganz schön und es wäre nicht das erste Mal, das ein Ortschild beim Losgehen geknickt wäre, aber es lief alles gut. Als ich oben sass, durfte ich einen letzten Blick auf meine Heimat werfen und mich von meiner Familie verabschieden.

Als dies erledigt war, liess ich mich rückwärts in die Hände meiner neuen Familie fallen. Auch dies lief alles ohne gebrochene Knochen ab. Danach ging es auf, weg ins Fremde zu den ersten Abenteuern meiner langen Reise. Die ersten 80 Kilometer liefen wir in einer Woche zu Fuss durch das wunderschöne Emmental. Matilda war uns hold und so hatten wir nicht nur perfektes Tippelwetter, wir plünderten auch die Outletshop‘s von Kambly und Wernli und machten allerlei nette Bekanntschaften.

Viel habe ich hergeben müssen um so frei zu sein, frei wie ein Vogel. Meistens ist es wunderschön, von nichts und niemandem gehalten zu werden, doch ab und zu ist es auch sehr einsam. Man fühlt sich eher wie ein Blatt im Sturm, das von seinem Ast weggerissen wurde.